Es werden Ergebnisse aus zwei Erhebungswellen der bundesweit repräsentativen Befragungen vorgestellt, die im Rahmen der MOTRA-Studie "Junge Menschen in Deutschland" durchgeführt wurden. Diese zeigen für Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 16 bis 21 Jahren erhebliche Anstiege tradierter Formen antisemitischer Einstellungen zwischen 2022 und 2024 . Solche signifikanten Zunahmen der sind bei allen Teilgruppen der jungen Menschenzu erkennen. Es fallen allerdings deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund auf.Bei nichtmuslimischen Migrantinnen und Migranten sind die Raten antisemitischer Einstellungen bei Personen der ersten Migrationsgeneration signifikant höher als bei den Angehörigen der zweiten Migrationsgeneration. Dies gilt sowohl 2022 als auch 2024. Für beiden Migrationsgenerationen zeigen sich auch deutliche Anstiege des Antisemitismus im Vergleich der beiden Jahrgänge. Bei jungen Musliminnen und Muslimen stellt sich die Lage anders dar. Hier kam es bei den Angehörigen der ersten Migrationsgeneration zu keinen Veränderungen der hohen Rate antisemitischer Einstellungen in dieser Zeit. Im Falle der zweiten Migrationsgeneration findet sich demgegenüber ein markanter Anstieg der Antisemitismusraten auf mehr als das Dreifache. Die stark ausgeprägten Zunahmen antisemitischer Einstellungen bei jungen Musliminnen und Muslimen der zweiten Migrationsgeneration verweisen auf Retraditionalisierungs- und Radikalisierungsprozesse, die hier in besonderem Maße stattgefunden haben.Dies wird gestützt durch Befunde die zeigen, dass in dieser Zeit auch eine verstärkte Hinwendungen zu fundamentalistischen, rigide-autoritären religiösen Orientierungen stattgefunden hat. Es liegt nahe, dass die besonders starken Anstiege des Antisemitismus bei jungen Musliminnen und Muslimen der zweiten Migrationsgeneration auch durch deren spezifische Wahrnehmungen des Gaza-Krieges und die Berichte über zivile Opfer unter der dort lebenden muslimischen Zivilbevölkerung mit beeinflusst worden sein können. Rigide Reaktionen auf israelkritische Proteste junger Menschen, die Opfer in der palästinensischen Zivilbevölkerung skandalisieren, u.a. deren Etikettierung als antisemitisch und kriminell, stehen gerade hier aus theoretischer Sicht in der Gefahr, Zunahmen des Antisemitismus zu befördern. Die Befunde werden mit Blick auf die Zielgruppen für die Antisemtismusprävention bei jungen Menschen in Deutschland diskutiert. Insoweit wird insbesondere ein kultursensibler Zugang zur Risikogruppe der mit Blick auf die Entwicklung antisemitischer Einstellungen besonders kritische Gruppe diskutiert.
Abstract:
Results of two representative surveys of people aged 16 to 21 years show significant increases of prevalence rates of traditional anti-Semitic attitudes between 2022 and 2024. According to the results of theses surveys anti-Semitic attitudes are significantly more prevalent among young Muslims compared to young Christians or those without religious affiliation. Among non-Muslim migrants, corresponding increases in anti-Semitic attitudes have been observed in both first- and second-generation migrants, with first-generation respondents being significantly more likely to hold such views than their second-generation counterparts. Among first-generation young Muslims, there were virtually no changes in their high rates of anti-Semitic attitudes between 2022 and 2024. However, among second-generation young Muslims, there were considerable increases, resulting in the rates of anti-Semitic attitudes between the two generations being nearly indistinguishable by 2024.
This rise in anti-Semitic attitudes among second-generation young Muslims can be explained as a result of retraditionalization and radicalization processeses that are accompanied with shifts towards more fundamental religious orientations that can be observed among young muslims in Germany. It is reasonable to assume that this trend among young Muslims is particularly fueled by the ongoing conflict in the Middle East, particularly the Gaza War, as well as by the manner in which anti-Israel protests are addressed by police and other social institutions.